Mittwoch, 2. März 2011

PROtest (Teil 1)

Stell Dir einmal folgendes vor: Es ist Wochenende und Du willst ein paar Tage in einer größeren deutschen Stadt verbringen. Mal angenommen es ist Berlin. Unsere wunderschöne Hauptstadt. Du besteigst den Zug, lässt Dir die Frühlingssonne ins Gesicht scheinen und genießt die Fahrt.
Nach mehr oder weniger Zeit knistert die Ansage in Dein Ohr: “Sehr geehrte Fahrgäste, in wenigen Minuten erreichen wir Berlin Hauptbahnhof. Für Ihre weiteren Anschlüsse beachten Sie bitte die Anzeigen und Durchsagen am Bahnsteig. Bitte achten Sie beim Ausstieg auf die streikenden Kollegen. Wir bitten um Ihr Verständnis und ßänk ju foa träweling wiß Deutsche Bahn.” - “Aha. Man streikt also. Schon wieder.” denkst Du. Auf dem ganzen Bahnsteig verteilt stehen streitbare, in gelbe Plastewesten gehüllte, dickliche Männer mit Tranparenten in der Hand und trällern mit Trillerpfeifen. Du besiehst Dir im Vorbeigehen einige Plakate. “Gegen die Personalpolitik der Deutschen Bahn.” “Gegen Stellenabbau in den Gleisputzerkolonnen.” Und weitere Ähnliche. Du denkst Dir: “Naja, wenigsten wehren sie sich.” und ärgerst Dich auch nicht weiter über den Erlebnislauf zwischen trillernden Bäuchen und wurstigen Fingern, die entweder Plakate oder Gebratenes umklammern.

Nach mehrminütigem Kampf stehst Du ein wenig angefettet auf dem Bahnhofsvorplatz, der Dir ungewöhnlich voll erscheint. Auch hier tummeln sich viele Menschen mit Plakaten und Beschallungsgerät. Das Aussehen der Menschen und die Aufschriften auf den Plakaten verraten jedoch schnell, dass es sich um einen anderen Protest handelt, als im Bahnhofsinneren. Diese Menge hat überwiegend rote Köpfe und ein feiner Dampf quillt aus den meisten Ohren. Sind das also diese Wutbürger, von denen man im vergangenen Jahr so viel gehört hat? Plötzlich findest Du es aufregend, noch nie zuvor bist du dem Wutbürger so nah gewesen. Sie strahlen eine geheimnisvolle Gefahr aus, die an zu bärsten drohende Teekessel erinnert - sie haben Wut und haben keine Scheu, sie zu zeigen. Die Plakate verraten schnell den Grund ihrer Wut: “Gegen Berlin 31!” steht auf ihnen geschrieben. Aha, alles klar. Hier wird gegen den neuen Luftbahnhof in Berlin protestiert, über den auch in Deiner Heimatstadt viel berichtet wurde. 2031 soll der gesamte Berliner Hauptbahnhof auf 25 Meter hohen Stelzen stehen, um darunter Platz für neue Papierkörbe und Zigarettenautomaten zu schaffen. Kürzlich vom gelb-gelben Senat und Guido Westerwelle beschlossen.

Mit leichtem Tinnitus betrittst Du die U-Bahn-Station. Neben Dir steht eine Gruppe Jugendlicher. Sie führen ihren Diskurs über die Abendplanung so laut, dass Du gezwungen wirst zu lauschen.

A: “Ey, du Opfer, ich sag dir, wir geh’n Till Eulenspiegel!!!”
B: “Nää, Junge. Isch hab da kein Bock drauf ne.”
A: “Alta halts Maul. Dann halt nisch ey. Meine Atzette is La Boum. Lass da hin!”
B: “Maaann, des La Boum is sau die Gammelfleischparty ey. Da is scheiße, Alta. Habsch kein Bock drauf.”
A: “Du Behinderter! Hör ma auf hier so auszutitschen! Du peilst überhaupt nix mehr, du Albaner!
B: “Hast du zu viele Aknestäbchen gefressen wa?”
A: “Dann sach halt, was du machen willst oda ich box disch Krankenhaus, ischwör!”

Damit scheint der Diskurs beendet. Zumindest geht der Rest im allgemeinen Geräuschbrei der Bahn unter. Dieser Tag scheint Dir eine Botschaft vermitteln zu wollen. Sie kriecht langsam an Dir hoch. Wie ein nicht ausgelasteter Rüde mit Bergsteigererfahrung. Doch noch kannst Du sie nicht wirklich fassen. Etwas nachdenklich verlässt Du Deinen Ziel-U-Bahnhof und schländerst in Richtung Übernachtungsmöglichkeit. Auf der Straße kommen Dir zwei Biertrinkende entgegen. Sie sehen akademisch aus. Äußerst gebildet eigentlich. Du denkst noch bei Dir: “Mensch, in dieser Stadt scheinen sogar die Besten der Besten arbeitslos zu sein.” Doch horch! Was war das? Etwas hat die vage Erkenntnis der letzten Minuten aus ihrer Tarnung gerissen! “Ey, Alter. Lass mal neues Bier holen. Bin ich voll für!”

Das waren wir.

1 Kommentar:

  1. ja, in der Tat sehr, sehr lustig. Aber was sollt ihr sonst mit eurer Zeit anstellen, wenn nicht über das Leben zu schreiben? Weiter so!

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